Hamburger Reise-Wiener

Diesen interessanten Bericht und die schönen Bilder, mit Genehmigung von Rolf Richter aus Facebook kopiert,  möchte ich euch nicht vorenthalten.

Der helle Reisetaubensport in Hamburg und Umgebung                              TEXT: ROLF RICHTER

 

In der Annahme und in Anbetracht der Tatsache, hier von einer eigentlich ausgestorbenen Taubenrasse etwas zu dokumentieren, muss zum Verständnis des Lesers doch etwas ausgeholt werden. In Hamburg blühte in der Vorkriegszeit und besonders auch in den ersten 20 Jahren nach dem Kriege der Reisetaubensport, allerdings nicht wie man unmittelbar vermuten würde mit den sogenannten Brieftauben, sondern mit überwiegend hellen Flugtaubenrassen. Jedoch hierüber etwas zu schreiben war ich lange Zeit auf der Suche nach Züchtern die diese Zeit der 60er bis 70er Jahre noch aktiv mitgemacht hatten. Leider ergab sich immer wieder wenn ich eine Adresse oder Namen bekam, das entweder der Name bzw. die Adresse nicht stimmte, oder aber der Züchter schon lange nicht mehr lebte. Meine eigenen aktiven Erfahrungen mit dem hellen Reisetaubensport sind eigentlich nicht kompetent genug um hierüber ein Artikel von ausreichender Qualität zu schreiben, denn Anfang der 50er Jahre war ich selbst natürlich noch ein Kind, ich bin im Januar 1944 geboren. Allerdings bin ich Ende der 50er Jahre Mitglied im Altonaer “ATC” ( Altonaer Taubenclub ) geworden, einer von den Hamburger Schnellflug Taubenclub’s die allein mit den hellen Tauben im Wettstreit flogen. In diesen speziellen Reisetaubensport bin ich ganz klar als Autodidakt gekommen, ich hatte weder Tauben-interessierte Eltern, noch Onkel oder Opa oder dergleichen, die mich u.U. hätten retten können von meiner Krankheitserscheinung dem “ Taubenvirus ” . Alles musste ich damals allein tun, regeln und vor allem finanzieren, denn es durfte absolut für meine Eltern nichts kosten. Dieses Problem habe ich dann sehr selbstständig gelöst durch, nun würde man sicher sagen durch Kinderarbeit.



 

 

 

Hier möchte ich mich nun auf drei Rassen beschränken, die noch bis zum Ende der 60er Jahre durchhielten. Das waren vor allem noch die Reise-Wiener ( damals nur Wiener genannt und nicht Wiener- Hochflieger ) sowie die Kopenhagener Elstern und im Einzelfall auch noch die Flug-bzw. Fliegekalotten, diese Tauben waren u.a. echte Hamburger Flugrassen mit mehreren guten Eigenschaften. Die Tauben flogen damals einen rasanten Flugstil mit kippen und schwenken, entweder getrennt als Rasse aber auch als gemengter Schwarm ( Flucht ) mit einer Flugdauer von ca. 50 – 90 Minuten in unterschiedlicher Höhe und dieses auch bei schlechtem Wetter, mit Ausnahme natürlich von Nebel, Schnee und Hagel, außerdem verfügten alle drei Rassen über einen ausgezeichneten Orientierungssinn. Mitte der 60er Jahre löste sich der Altonaer Taubenclub allerdings auf, es folgte entsprechend der Notwendigkeit eine Fusion mit dem Ottensener- sowie Wandsbeker Taubenenclub’s. Diese drei nun vereinigten Hamburger hellen Reisetaubensport-Vereine flogen ab dieser Zeit, nach neuer Vermessung, gemeinsam, mit allerdings nur noch den zwei Rassen, Kopenhagener Elstern sowie den Reise-Wienern. Diese zuverlässigen Angaben erhielt ich, gerade noch rechtzeitig vor Abschluß dieses Artikels dankenswerterweise von Günther Meier bei Hamburg. Geflogen wurde je nach Möglichkeit des jeweiligen Züchters von einer Jageklappe, aber genauso auch aus einer ganz gewöhnlichen Dachluke mit kleinem- oder aber überhaupt keinem Anflugbrett. Als Flugbasis dienten damals alle möglichen Wohnhäuser in und außerhalb der Stadt, sowie Gärten oder Hinterhöfe, selbst noch stehende und teilweise zerbombte, jedoch noch bewohnbare, Häuser wurden ebenfalls für die Flugtaubenhaltung genutzt, oft wurde auch ein Springer für das Aus-und Einfliegen gebraucht, alles natürlich in Eigenbau, Baumärkte kannte man damals noch nicht.
Neben den Kopenhagener Elstern und Hamburger Fliegekalotten, die in Hamburg derzeit keine seltenen Flugtauben waren, wurde hauptsächlich noch mit Wienern ( heute Reise-Wiener ) im hellen Reisetaubensport geflogen und dieses Fliegen mit den Wienern blieb nicht unumstritten, dazu später mehr. Es gab damals selbstverständlich auch noch andere Hamburger Flugrassen, diese veränderten aber so nach und nach zu eigenständigen Rassetauben mit den dazugehörenden Standard, also zu Ausstellungstauben. Um hier nur einige zu nennen, die Hamburger Tümmler in verschiedenen Farben wie Elstern, Weißschwanz, Farbschwanz u.s.w., außerdem die Hamburger Sticken sowie die Hamburger Schimmel, auch diese Rassen waren im Ursprung noch geschickte Flugtauben die ihre Nachzucht noch ohne Probleme selber groß brachten, dieses ist durch Einkreuzung nun nicht mehr möglich aufgrund ihrer jetzigen Kurzschnäbligkeit, sie werden von Ammentauben aufgezogen.
Von diesen vorgenannten Hamburger Regionalrassen sind im Prinzip noch zwei echte Flugrassen übrig geblieben, die dritte Rasse der “Reise-Wiener” war so gut als ausgestorben zu bezeichnen. Allerdings bestand noch ein Züchter der, quasi im Alleingang, diese Reisewiener besitzt und in kleiner Anzahl seriös züchtet und dieses in vorbildlicher Manier von Unterbringung und Zuchtidee. Hiermit trägt G. Meier wesentlich bei für die Erhaltung des Reise-Wieners. Alle von G. Meier, der in der Nähe von Hamburg lebt, gezüchteten Reise-Wiener haben noch präzise das Aussehen und die Flugkapazitäten der Wiener, die wir in den 50er/60er Jahren schon flogen. Im Monat Mai 2015 reisten wir, Jos Ankone ( secretaris meines hier in Holland ansässigen Flugtaubenverein’s ) und ich zu G. Meier um uns zum einem diese Anlage anzusehen und zum anderen die schon lange zuvor reservierten junge Reise-Wieners abzuholen. Dieser Besuch wurde für uns sein unvergessliches Erlebnis, nicht allein wegen der ausgesprochenen Gastfreundlichkeit, sondern auch weil wir fast gleich alt waren und beide in Hamburg Altona, nicht weit voneinander aufgewachsen sind.
Allerdings bleibt die Frage, was war und ist es nun eigentlich für eine Taube, der “Reise-Wiener”? Der Reise-Wiener ist nicht nur hier in Holland völlig unbekannt, sondern auch im Hamburger Großraum, zumindest für die jüngeren Taubenzüchter, kein Begriff mehr. Und doch kam dieser Reise-Wiener früher in großer Anzahl vor. Wie vorab schon angekündigt war dieser Wiener bei den echten Hochflugliebhabern nicht unumstritten, sondern vielmehr ein Dorn im Auge.
1936 schrieb z.B. der damalige Wiener Hochflieger Spezialist Franz Krüger aus Wedel bei Hamburg in ausführlicher Form einen Artikel über diesen Reise-Wiener, genauer gesagt, über den Sinn bzw. Unsinn dieser Moderasse. Der Name “Reise-Wiener” bestand, wie vorab schon erwähnt, noch nicht, es war einfach nur der “Wiener” und das bis Mitte der 60er Jahre wo der eigentliche helle Reisetaubensport schon langsam dem Ende entgegen sah. An den Namen “Reise-Wiener” hatte ich unbewußt einen großen Anteil gehabt, om nicht zu behaupten ich hätte ihn sogar erfunden. Das genaue Jahr ist mir nicht mehr so in Erinnerung, jedoch spielte sich derzeit folgendes ab. Auf der Suche nach einigen Wienern ging ich, so wie viele andere Züchter auch, zum Hamburger Fischmarkt. Der Weg führte mich als erstes zu Taubenhändler Kuddel Kobbe, der wie immer von alles und noch was an Tauben zum Verkauf anbieten konnte, meine Frage lautete ob er nicht einige gute Wiener hätte und wie meistens war seine Antwort natürlich habe ich noch einige gute bis sehr gute Zuchtpaare für dich ( verkaufen konnte er ), er zeigte mir seine guten Exemplare die leider noch nicht ausgepackt waren. Was jedoch zum Vorschein kam waren echte Wiener Hochflieger sowie auch noch einige Wiener Tümmler dazwischen vermischt. Diese Tauben suchte ich aber nicht, sondern den “Reise-Wiener”. Diesen Begriff hatte Kuddel K. bis zu diesem Tage noch nie zuvor gehört, es machte aber konkret deutlich was ich suchte und wie sollte es anders sein, er hatte wirklich einige gute Zuchtpaare für mich. Von diesem Tage an verkaufte Kuddel K. nicht mehr unter den irreführenden Namen “Wiener”, sondern nun wurden es die Reise-Wiener und dieses blieb bis zum heutigen Tage so.
Nur was war nun eigentlich die tonangebende Kritik von Franz Krüger gewesen. F.K. kritisierte vor allem die derzeit noch gut und teilweise auch noch hochfliegenden Hamburger Lokalrassen mehr und mehr Training auf Abstand fliegen hatten und nicht mehr auf den eigentlichen Hochflug. Dieser Umstand, so fürchtete F.K. ginge zu Lasten der Rassereinheit durch das unvermeidbare einkreuzen von Wiener Hochfliegern sowie Wiener Tümmlern und brauchbare Brieftauben, wie z.B. u.a. Schimmel’s mit einem hellem Auge.
F.K. hatte mit seinen Bedenken natürlich recht gehabt, alledings ist doch im laufe der Jahre eine großartige, meistens belatschte, Reiseflugtaube entstanden die hervorragend geeignet war für den Kurzstreckenflug und sehr gut mit den Kopenhagenern mithalten konnte. Außerdem wurde diese Veränderung auch nicht belohnt mit den ursprünglichen Rassenamen “Wiener-Hochflieger” zoals dieses allerdings des öfteren passierte von der Umwandlung einiger Flugtaubenrassen zur Ausstellungsrasse, die dann leider den alten Namen behielten. Es war früher wirklich nicht so einfach all diese Reiseflugeigenschaften zu kompensieren und doch ist es den damaligen Züchtern geglückt, die allerdings leider ihre Zuchtexperimente sehr geheim hielten und dann letztendlich auch mit ins Grab mitnahmen. Eine Ausnahmeerscheinung besteht jedoch und das ist der von uns aufgesuchte Züchter “Günther Meier” der neben den Reise-Wienern auch noch die alten Hamburger Flugkalotten sowie die ehrwürdigen Kopenhagener Elstern züchtet und keinerlei Scheu hat über seine Zuchterfolge und Arbeitsweise der Zucht von den Reise-Wienern Auskunft zu erteilen.
Mit der Kritik hat F.K. in erster Instanz probiert, in einer berechtigten Manier sein eigenes Taubensportinteresse, den Hochflugsport mit Wiener Hochfliegern zu promoten, etwas was F.K. auch unumwunden in seinen Artikel von 1936 beschreibt. Der Hochflugsport mit Wiener Hochfliegern war zwar im Osten von Deutschland neben heimischen Flugrassen bekannt u.a. besonders in Stettin ( damals noch ‘’Deutsch” ) aber auch Braunschweig hatte lange voor Hamburg ebenfalls eine größere Anhängerschaft von Wiener Hochfliegern. In Hamburg wurden die Wiener Hochflieger erst 1905 durch Friedrich Althof eingeführt, mit insgesamt 62 Wiener Hochfliegern, die F.A. aus Braunschweig sowie auch aus Stettin holte, nun begann auch das Interesse bei anderen Flugtaubenliebern in Hamburg zu wachsen und sich diese rasanten Wiener Hochflieger ebenfalls anzuschaffen, mit anderen Worten, der echte Wiener Hochflugsport in Hamburg wurde von Fiete Althof gestartet.
Franz Krüger hatte ebenfalls u.a. nicht vergessen, in seinem Artikel auch die absoluten Vorteile der anderen lokalen Hamburger Taubenrassen im positiven Sinne zu benennen, jedoch was die Reise-Wiener Liebhaber betraf hatte er sich eindeutig geäußert, indem er vorschlug hiermit zu stoppen und sich dann doch lieber für den Brieftaubensport zu entscheiden. Ich möchte hier nicht ins Detail gehen, wie z.B. die heutige ( belgische ) Brieftaube entstanden ist, bzw. welche Rassen bei der Entstehung mitwirkten, denn der Gebrauch von ursprünglichen Brieftauben liegt schon sehr lange zurück und war für einige im asiatischen Raum lebenden Völker unentbehrlich, also bestanden dieses schon sehr lange vor der uns allgemein bekannten belgischen Brieftaube, die übrigens inzwischen u.a. auch die asiatischen Länder erobert hat.
Selbst unser Hamburger Wiener-Hochflieger Experte “Friedrich Althof” bedauerte 1939 in einem Artikel die Veränderung von Flugtaubenrassen in Richtung Ausstellungrassen und das dann unter den den alteingesessenen Namen der jeweiligen Flugrasse. Allerdings kritisierte F.A. nicht das veränderen des Wiener-Hochfliegers in eine auf Abstand fliegende Flugtaube.
Die meisten Flugtaubenzüchter in den Nachkriegsjahren mußten früher sehr hart arbeiten, oft im Hamburger Hafen, mit seinen damals noch unendlich vielen Berufszweigen, wie z.B. Schifffahrt, Werften, Umschlag, Lagerung oder auch Industrie. Es wurden sehr häufig Überstunden und Doppelschichten gemacht, also Zeit und Geld waren knapp, alle diese Gründe machten den damals in Hamburg noch nicht so populären Reisetaubensport, besonders für unregelmäßig arbeitende Menschen, nicht echt attraktiv. Und dieser Umstand ist präzis die Ursache für das Entstehen des “ hellen Reisetaubensports “ in und um Hamburg. Dieses mehr ungezwungene sprach die Züchter von Flugtauben einfach an, man könnte es auch heute etwas moderner, der Zeit entsprechend, ausdrücken und sagen, es war eine Art Kombination von Innovation und Marketing als Ergänzung für den bis dahin bestehenden Flugtaubensport.

Als Abschluß nun noch einige Hinweise über das fliegen selbst im “hellen Reisetaubensport”.
Der technische Ablauf verlief eigentlich nicht anders wie bei den Brieftaubenvereinen, einkorben und den folgenden Tag mit Uhr wieder zurück ins Clublokal, hier wurden nun die Zeiten ermittelt und somit auch über Verlierer und Gewinner. Allerdings gab es beim Einkorben doch ein Unterschied zum Brieftaubensport. Bevor die Tauben in den Reisekorb gingen wurden sie erst einmal optisch gekeurd ( untersucht nach besonders auffälligen Merkmalen von Brieftaubenblut ). Bei den Kopenhagenern E. achtete man u.a. vor allem auf die Zeichnung, bei zuviel an Flügelband war es ein Zeichen von zuviel an Brieftaubenblut, diese Tauben durften nicht eingekorbt werden, also wurden vom Wettstreit ausgeschlossen.
Bei den Reise-Wienern wurden u.a. besonders die Augen unter die Lupe genommen sowie das Format der Taube begutachtet.War das Auge nicht hell genug oder die Statur/Format zu groß ging auch diese Taube nicht mit in den Reisekorb.
Bei den Hamburger Fliegekalotten war ein unerkennbares Einkreuzen nicht möglich, diese Tauben flogen allerdings in der Regel auch nur kürzere Abstände von so max. 40 Km.
Startplatz für den Wettflug lag von Hamburg aus gesehen in westliche, nordwestliche oder nördliche Richtung also Richtung Nordsee / Dänemark.
Flugrichtung bei Auflass also entgegengesetzt Richtung Hamburg.
Alle damals eingesetzten hellen Reisetauben flogen niemals über de Elbe ( Tidestrom ), übrigens auch nicht beim täglichen Flugtraining der Tauben, wobei der Abstand zur Elbe bei mehreren Züchtern ( auch bei mir ) nicht weiter als 150 Meter Luftlinie war.
Erst in späteren Jahren ( habe ich persönlich nicht mehr mitgemacht ) flogen die modernisierten Kopenhagener Elstern auch weitere Abstände, so z.B. von Kassel Richtung Hamburg, hierbei mußten die Tauben allerdings doch die Elbe überqueren.
Je nach Zeit und Möglichkeit der Züchter wurden die einzusetzenden Tauben 1 bis 2 x per Woche abgerichtet, bis zu ca. 20 Km ( oft mit dem Fahrrad ), außerdem wurde sehr häufig in einer Kombination geflogen, schon deshalb um die doch vielfach unregelmäßigen Arbeitszeiten abzufangen und auch die Versorgung der Tauben zu gewährleisten.

NL – Steenwijk – 2015 R.R.

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