Christian Wingeier Thun

 

Ab und wann ergeben sich im geschäftlichen Bereich Gespräche über Privates. Wenn ich dann von meinem Hobby erzähle, ist die         1. Reaktion: Das gibt es nicht, du willst uns auf den Arm nehmen! 2. Reaktion bzw. Frage: Wie bist du zu diesem Hobby gekommen?

In die Wiege gelegt wurde mir die Kleintierzucht, nicht aber die Tauben. Als ich zwölf war, waren wir zu Besuch bei einem Onkel. Auf dessen Nachbarhof war ein Schwarm Tauben, der munter in den Hof, auf die Felder und immer wieder zurück zum Schlag flog. Ich war hin und weg! Ein Haustier, dass frei herumfliegt und trotzdem immer wieder nach Hause zurückkehrt. Soll ich das mal mit den Kanaren oder Wellensittichen des Vaters ausprobieren? 

Da die Tierwelt bei uns wöchentlich in den Briefkasten flatterte, las ich ab da die Rubrik Tauben aufmerksam und studierte auch den Inseratenmarkt. Da ich wusste, dass Tauben insbesondere bei der Mutter nicht gut ankamen, bestellte ich, ohne was zu sagen und ohne besseres Wissen, schriftlich bei Herr Käsermann in Schalunen ein Paar Haustauben. Lieferung per Post-Nachnahme. Am Morgen des voraussichtlichen Liefertermins, drückte ich der Mutter vor dem Zu-Schule-Gehen noch schnell das Geld in die Hand, mit der Anmerkung, dass ein Paket für mich kommt.

Vorher hatte ich natürlich schon eine Bucht im Hasenstall umfunktioniert. Artgerecht wäre der falsche Ausdruck, aber für den Anfang brauchbar.

Logischerweise gab es am Mittag einiges zu hören, da die Tiere aber da waren, durften sie auch blieben.

Bald merkte ich, dass mir viel Wissen fehlte und suchte deshalb bei Fritz Hofer – welcher ein bekannter Taubenzüchter im Ort war – um Rat. Er hat mich behutsam aufgeklärt, dass es mit diesem Paar Haustauben nichts werden kann. Er eine Nürnberger Schwalbe und sie eine Brieftaube ☹

Doch er hat geduldig meine vielen Fragen beantwortet und mich beraten, dass dann auch ein richtiger Taubenschlag entstand und es richtig los gehen konnte. Luzerner Gold- und Kupferkragen, Thurgauer Schild und und und, kamen auf den Schlag, aber nichts entsprach meinen Vorstellungen und die meisten Tauben wollten nicht fliegen oder waren gleich weg.

An einem Mittwochnachmittag wollte ich Pfautauben kaufen, weil mir ein Schulkollege gesagt hat, die seien gut! Ich hatte keine Adresse, nur eine ungefähre Beschreibung. Nach x Wendungen und als die Geduld des Vaters am Ende war, fand ich endlich die Werkstätte von Fritz Reinhard im Loch, Rüegsbach. Leider – oder zu meinem Glück – hatte er gerade keine Zeit und so schaute ich mich im kleinen Weiler etwas um. Dies blieb einem gleichaltrigen Jungen nicht verborgen und wir kamen ins Gespräch und auf den Grund meines Hierseins.

Nein, Pfautauben soll ich keine kaufen. Ich solle mal seine Tauben sehen. Die würden dann fliegen und wie! Gesagt getan und ich setzte zum 1. Mal den Fuss in den Schlag von Peter Reinhard!

Was dann folgte, muss ich eigentlich nicht mehr aufschreiben, denn das kennen die meisten. 1983 die 1. Teilnahme an der Generalversammlung und Beitritt zur VSF. Neben verschiedenen Funktionen im Klub flog ich auch viele Rassen. Ich habe Tiere aus allen drei Gruppen geflogen und meine Erfahrungen gesammelt. Waren Orientalen und Birmingham die Tiere der 1. Phase meiner Flugtaubensportlerzeit, kamen dann eine Zeitlang die Serbischen und Wiener-Hochflieger zum Zuge. In letzter Zeit habe ich mich ganz dem Flugkasten-Sport verschrieben und nach einer Phase mit Sturzflugtauben mich im Moment bei den Rakonitzer Rollern gefunden.

Ab Heimatschlag zu fliegen ist für mich sehr schwierig, da ich den Flug wegen vielen Häusern praktisch nicht verfolgen kann. Zudem sind die Verluste schmerzlich hoch.

Mit dem Flugkasten – zugegeben, der Aufwand ist etwas höher – habe ich die Möglichkeit, den Auflassort zu variieren. Dies ist keine Garantie, aber die Greifvögel können sich nicht einfach darauf einstellen, dass um 18 Uhr die Klappe am Ausflug geöffnet wird.

Seit ich alle Tauben bei mir am Haus habe, muss ich konsequenter züchten und fliegen, weil die Platzverhältnisse mit einem Zuchtabteil und zwei Flugabteile für insgesamt rund 50 Tauben sehr bescheiden sind. Dafür schätze ich, dass der Aufwand für Betreuung und Pflege einfacher ist und der Bezug zu den Tieren stärker ist, als zurzeit, wo die Tauben 7 km entfernt lebten.

Die Rakonitzer Roller habe ich schon auf einigen Ausstellungen bestaunt. Leider hat es sich nicht ergeben, dass ich den Bestand des leider viel zu früh verstorbenen Hannes Meister übernehmen konnte. So kam ich erst 2018 in Fribourg wieder mit ihnen in Kontakt. Ich fragte den Aussteller Peter Schmid, ob er mir nicht mal paar Tiere, welche nicht für die Ausstellung geeignet sind, überlassen könnte. Bereits am 19. Januar zogen 5 letztjährige Tiere bei mir ein. Unbeabsichtigt liess ich am nächsten Tag bereits zwei fliegen. Aber am Abend waren alle wieder im Schlag.

Kaum eingewöhnt, zeigte die 1. Täubin Einzelüberschläge. Jetzt gab es kein Halten mehr. Obwohl nicht vorgesehen, wurde eine Nistzelle geräumt und ein Paar Rakonitzer zusammengestellt.

Die Nachzucht enttäuschte mich nicht. Selbst in der Zeichnung (Gansel schwarz) waren die Tiere relativ gut, obwohl die Eltern zum Teil erhebliche Mängel hatten.

Das Arbeiten mit den Rakonitzer macht viel Freude. Die verhältnismässig kleine Taube ist äusserst agil. Da hatten selbst die wesentlich grösseren Wammentauben keinen Stich! Sie zeigen keine Scheu und brüten zuverlässig.

Auf dem Flugkasten sind sie problemlos. Die Eingewöhnung ist unkompliziert und mit ihrem Flug in unterer Höhe, normalerweise in Sichtweite, begeistern sie auch Menschen, die nicht viel mit Tauben am Hut haben. Meine Tiere fliegen geschlossen im Trupp mit Flugzeiten zwischen 15 und 30 Minuten. Dies kommt einem beim FK gelegen. Natürlich muss man immer ein Projekt am Laufen haben. Mit Züchterkollegen wie Peter Lhotsky aus Deutschland oder Nicolas Girard, Frankreich bin ich dran, den Rakonitzer Roller in eine Wertungsklasse der Europäischen Flugroller-Union EFU zu bringen. Da sind noch paar Recherchen erforderlich, um die Tauben dort einzuordnen, wo sie die Erzüchter aus Tschechien mal gesehen haben. Mit Übersetzen von Fachliteratur und Austausch über Facebook, Youtube tasten wir uns Richtung Ziel. Ich hoffe, dass wir auf 2020 einen entsprechenden Antrag stellen und die Rakonitzer ab 2021 in einer offiziellen Wertungsklasse zu fliegen. Und wer weiss, vielleicht stehen an der 100. Nationalen 2022 in Thun auch Rakonitzer von cwi in den Ausstellungsboxen!

Bis dahin wünsche ich allen flugtaubensportbegeisterten Mitmenschen ein herzliches Gut Flug!

Noch zwei kleine Randbemerkungen:

  1. Das Geld für den Kauf von Tauben musste ich mir mit dem Verkauf von Ausmast- oder Schlachtkaninchen, sowie Ämtli im elterlichen Betrieb verdienen. Am Sprichwort, wer das Geld nicht kann sehen liegen, kaufe Tauben und lass sie fliegen, ist was dran!
  2. Unsere Zeit ist schnelllebig, doch wenn ich heute zu Peter Reinhard fahre, bleibt sie für einen kurzen Augenblick stehen. Die Schläge sehen immer noch fast genau gleich aus wie, als ich sie das 1. Mal betrat.

Text und Bilder: Christian Wingeier

Vereinigung Schweizerischer Flugtaubensportler – VSF